Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt
Der Pflüger, dem Geruhsamen raucht sein Herd
Gastfreundlich tönt dem Wanderer im
Friedlichen Dorfe die Abendglocke.
So beginnt das Gedicht "Abendphantasie" von Friedrich Hölderlin, das ich gern im Unterricht bespreche. Ich mag vor allem die erste Strophe, die jedesmal, wenn ich sie lese, Bilder aus der
Kindheit aufsteigen lässt. "Ruhig im Schatten sitzt der Pflüger". Ich denke an meinen Großvater, den alten Machnig, den ich als im Ohrenstuhl Sitzenden in Erinnerung habe. Er sitzt zwar nicht
"§vor der Hütte", sondern im Haus, aber er ist für mich auch heute noch die Verkörperung der Ruhe. Vor dem Haus, genau gesagt, auf dem Maurer-Bankl, sitzen drei alte Frauen: Die Machnigin, meine
Großmutter, die Maurermutter und die Lindn Nana. Hier geht es weniger ruhig zu, hier werden Neuigkeiten ausgetauscht und kommentiert. Ich sehe die nach hinten gebundenen Kopftücher vor mir, die
blauen "Klothschürzen" und mir fällt wieder ein, dass ich mich als Kind lange mit der Frage gequält habe, warum alle Frauen Kopftücher und Schürzen tragen. Manchmal erzähle ich das auch meinen
Schülern. Immer aber erzähle ich, wenn wir das Gedicht "Abendphantasie" durchnehmen und bei der "Abendglocke" angelangt sind, vom Pauler Tone. Wenn er abends zum "Betläuten" ging, folgte ihm
stets ein Rudel Kinder, begierig danach, am Glockenstrang ziehen zu dürfen, begierig aber auch danach, vom Tone Geschichten erzählt zu bekommen. Alles, was er sagte, klang so bedeutungs- und
geheimnisvoll.
Kinder sind von Natur aus neugierig. Der Pauler Tone war es auch, und was er erfahren hatte, erzählte er gerne in seinem unnachahmlichen Tonfall weiter. Wenn er mit dem "Kirchblattl" ins Haus
kam, lief ich ihm sofort hinterher. Obwohl den Kindernaaufgetragen wurde, sie sollten nicht "Redn auflisnan", taten sie nichts lieber als das (zumindest ich). Auch dass der Tone seitenlange
Bibelstellen und Litaneien auswendig hersagen konnte, beeindruckte mich außerordentlich. Als er seine Lieder zum Besten gab, war ich schon lange nicht mehr in Tresdorf. So spreche ich im
Deutschunterricht also manchmal vom Pauler Tone und seiner Erzählkunst statt von den bekannten Dichtern. Aber das hat, denke ich, durchaus seine Berechtigung.
erzählt von Pulcheria Eder jun.